freiwilligkeit
Kristina Schröder wirbt für eine "neue Kultur der Freiwilligkeit" - Gesetzentwurf zum Bundesfreiwilligendienst

Der Bundestag hat am 24. Februar in erster Lesung über die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes beraten. Familienministerin Kristina Schröder warb zu diesem Anlass für eine "neue Kultur der Freiwilligkeit" und betonte, dass der Bundesfreiwilligendienst Frauen und Männern jeden Alters offen stehen soll und die bestehenden Freiwilligendienste stärkt.
"Wir wollen bewährte und gewachsene Strukturen erhalten und das freiwillige Engagement zusätzlich durch einen Bundesfreiwilligendienst stärken. Wir investieren künftig etwa 350 Millionen Euro jährlich in die Engagementförderung. So viel Geld hat noch keine Bundesregierung in den Ausbau des bürgerschaftlichen Engagements gesteckt.", sagte die Bundesfamilienministerin.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Männer und Frauen jeden Alters nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren können. Der Einsatz soll in der Regel zwölf, mindestens sechs und höchstens 24 Monate dauern. Die Freiwilligen werden gesetzlich sozialversichert. Grundsätzlich soll der Bundesfreiwilligendienst vergleichbar mit einer Vollzeitbeschäftigung zu leisten sein. Wie der Zivildienst wird auch der Bundesfreiwilligendienst arbeitsmarktneutral sein. Die Einsatzbereiche sollen auf Sport, Integration, Kultur und Bildung und den Zivil- und Katastrophenschutz erweitert werden.
Guter Hohn für gute Arbeit
15.04.2011, 11:15 Uhr | Stefan Gärtner

Der Zivildienst wird abgeschafft, die Freiwilligen fehlen (Foto: Chuck Coker)
Die Wehrpflicht ist weg, mit ihr der Zivildienst, und mit ihm verschwinden 90.000 Stellen in Altenheimen, Behindertenwerkstätten und Rettungsstationen. Die zuständigen Stellen hoffen, diese Stellen wieder besetzen zu können, indem sie auf eine "Kultur der Freiwilligkeit" (Kristina Schröder) setzen: Junge Leute sollen ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr leisten bzw. sich zum "Bundesfreiwilligendienst" melden. Gute Sache.
Gute Sache? Die meisten, die noch den regulären Zivildienst geleistet haben (der Autor gehört dazu), erinnern sich nicht ungern an diese Zeit, und sei es nur, weil sie finden, dass ihnen zwischen Abitur und Studium dieses Jahr Wirklichkeit nicht geschadet hat (besonders dann, wenn man noch nicht von zu Hause ausgezogen war und von jetzt auf gleich die unerhörte Summe von 900 Mark zur Verfügung hatte, Sold plus Verpflegungspauschale, netto, versteht sich, denn Muttis Kühlschrank war immer voll, und Kostgeld hat sie nie verlangt).
Schon damals aber erlaubten sich Sozialverbände, so zufrieden sie mit ihren Zivis auch gewesen sein mochten, mitunter den scheuen Hinweis, 90.000 Zivis seien eben auch 90.000 nichtreguläre Arbeitsplätze. Und so sehr man es begrüßen mag, dass der Nachwuchs noch was anderes kennenlernt als immer nur den Schreibtisch, stehe er nun im Kinderzimmer, im Studentenwohnheim oder im Großraumbüro, hat die Beschwörung von Freiwilligkeit und staatsbürgerlicher Verantwortung dann einen Goût, wenn Solidarität nicht aus Prinzip, sondern aus Berechnung beschworen wird.
Mann kann den Spieß nämlich auch umdrehen und sich fragen, warum das siebtreichste Land der Welt auf Freiwillige angewiesen ist, damit sein Sozialsystem nicht zusammenbricht, warum es die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht schafft, ihre Kranken und Gebrechlichen zu versorgen, ohne dafür betteln zu gehen. Wes Gedankens Kind die in allerlei Sonntagsreden gefeierte Freiwilligkeit ist, haben die Freiwilligen längst begriffen. Zwei junge Leute, vom Fernsehen interviewt, machten Angaben zum Grund ihrer Lust an der unbezahlten Arbeit. Sprach die junge Dame, immerhin, noch von Orientierung und Praxis, kam dem jungen Mann, der unverdächtig mehr nach Physik als nach Betriebswirtschaft aussah, gleich der eigene Lebenslauf in den Sinn, auf dem sich "ein Praktikum immer gut macht".
Hier ist Arbeit die nichts kostet, Hohn
Nun ist das absolut nicht repräsentativ, aber wenn eine Freiwilligkeit, die sich allein sogenannten Sparzwängen verdankt und also der Unfähigkeit (oder Unlust) eines sich als modern verstehenden Staates, menschliche Grundbedürfnisse im systemischen Rahmen zu befriedigen, sich als instrumentelle, potenziell karrierewirksame ins gerade Gegenteil verkehrt und der Freiwilligendienst zu genau dem unbezahlten Praktikum wird, das auch bei älteren Jugendlichen um die 30 zum Nichtkarrieremodell geworden ist, sei nicht von Engagement und staatsbürgerlicher Verantwortung die Rede, sondern von der guten alten Ausbeutung.
Hängen wirs noch höher: In Verhältnissen, denen alles Geld und Nutzwert ist, ist Arbeit, die nichts kostet, Hohn. Das spricht nicht gegen die, die sie leisten, sondern gegen die, die sie fordern.
Stefan Gärtner ist Jahrgang 1973, studierte Geisteswissenschaftliches in Mainz und New York und war von 1999 bis 2009 Redakteur beim endgültigen Satiremagazin “Titanic”. Gärtner schreibt neben dem monatlichen Politessay fürs Hausblatt offizielle Biographien über Bundesaußenminister (“Guido außer Rand und Band”, mit Oliver Nagel), sprachkritische Lowseller (“Man schreibt deutsh”) und manchmal Witze fürs Fernsehen.
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